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Eine kurze Geschichte der Qualität im letzten Jahrzehnt

Als in den 90er Jahren die Party-, Fun- und Lifestylewelle rollte, geriet die Qualität von Produkten oftmals unter die Räder. Qualität? Oh Gott, wie spießig! Welcher modern gepolte Mensch achtete noch so etwas, wo doch in der raschen Rotation der Trends und Wellen Kleidung, Getränke, Sportgeräte, Ernährungsstile, Computer, tendenziell sogar Autos und Möbel nur noch eine Saison halten mussten, ehe das Nächste dran war. Wichtig schien, dass Produkte und Marken das richtige Feeling und einen In-Lifestyle verströmten.
Angesichts dieser (angeblichen) Geisteshaltung der Kundschaft konnte mancher Markenartikler der Versuchung nicht widerstehen, die Margen zu heben, indem er klammheimlich das Qualitätsniveau senkte. Bis es den Kunden irgendwann doch auffiel und Ärger aufkam. Bekannte Autohersteller laborieren jetzt noch an den Folgen ihrer Qualitätssünden in den 90ern, mit denen sie ihre Images gründlich unterminiert haben. Bei mancher berühmten Marke hochpreisiger Lederwaren beispielsweise saßen die Nähte nicht oder Reißverschlüsse platzten auf. Käufer der Produkte nahmen solche Mängel nicht nur übel, weil sie den Eindruck bekamen, reingelegt worden zu sein. Der Schaden ging tiefer: Solche Produkte werden gekauft, um sich via Markenflair eine hochwertige Identität zuzulegen. Qualitätsdefizite in der Substanz berührten einen hoch sensiblen Punkt: Sie lassen die Parallele ahnen, mit dem Käufer sei es vielleicht nicht anders bestellt als mit den Produkten: Ihre Hochwertigkeit sei nur eine Vorspiegelung falscher Tatsachen. Als sich nun die aktuell in voller Blüte stehende Konsumkrise mehr und mehr bemerkbar machte, gab es einen neuen Grund, sich nicht weiter um Qualität zu kümmern. In der Geiz-ist-geil-Kultur zählte jetzt allein der Preis. Beim Kauf herrschte die Devise: "Billig will ich", die Güte der Produkte war kein Thema. Eine Erosion, die sich bei den gegenwärtigen Rabattschlachten fortgesetzt hat: Rabatte bedeuten längst nicht mehr immer "dasselbe preiswerter". Viele Produkte, die im Preis herabgesetzt sind, weisen auch eine minderwertige Qualität auf. Die Überzeugung, dass Konsumenten nichts wollen als "billig", ist also an die Stelle der Überzeugung getreten, ihre einzigen Bedürfnisse seien Lifestyle und Markenimage. Mit vergleichbaren Folgen für die Qualität. Dass manche auch auf zwei Klavieren spielen können, zeigen Discounter wie Aldi. Hier werden Qualität und Preis betont. Qualität wird zwar nicht als Argument für höhere Preise genutzt, doch der Discountkunde kann sicher sein, zum günstigen Preis zuträgliche Qualität zu bekommen – von den Spaghetti bis zum Laptop. Dafür muss er allerdings weitgehend auf Lifestyle verzichten. Der Erfolg dieser Strategie bereits Mitte der 90er Jahre zeigt, dass schon damals die Annahme, Lifestyle sei das allein selig Machende, nicht ganz stimmen konnte. Unterdessen hat sich das Qualitätsniveau vor allem bei den Non-Food-Schnäppchen der Discounter zum Teil nicht mehr halten lassen, und der Kunde bekommt mittlerweile häufig, was auf Niedrigpreisniveau zu erwarten ist: mäßige Qualität. Beide Überzeugungen, die ältere vom Lifestyle- und die aktuelle vom Preis-Junkie, entstammen der gleichen Quelle: dem Druck zu verkaufen. Unter diesem Druck neigt das Marketing dazu zu vergessen, dass es immer mehrere Belange unter einen Hut zu bringen gilt: Lifestyle und Nutzen, Preis und Qualität. Man fabriziert ein Bild vom Verbraucher und eine Art universellerUSP: Wenn denn alle auf Lifestyle und Fun oder auf den Preis abfahren, dann hat das Marketing ein Patentrezept und seine Aufgabe will nicht mehr unlösbar erscheinen. Weitere Faktoren im Spiel werden gerne übersehen. In der Tat lässt sich, wenn Angebote und Werbung massiv gleichgeschaltet werden, wie es während des Fun- und Lifestyletrends passierte und wie es mit der Geizist-geil-Welle gegenwärtig der Fall ist, beim Konsumenten Nachfrage in der erwünschten Richtung erzeugen. Die geheime Solidarität des Marketings, das kollektiv auf einen Dreh setzt, erzeugt in den Volumenmärkten einen entsprechenden Konsensdruck. Wer hätte sich in den 90ern getraut, sich vom Lifestyleswitch abzukoppeln? Wer will jetzt auf sich sitzen lassen, er kaufe zu teuer ein? Die Prävalenz des Preises gegenüber allem anderen ist nicht allein Maxime für die Gestaltung der Angebote geworden. Sie wird auch unternehmensintern und für den Umgang mit Zulieferern zum Prinzip. Wenn die Käufer alle "billig" wollen, dann auch die Hersteller. Weil wir Marktforscher sind, soll nicht unerwähnt bleiben, dass es manchem Auftraggeber offenbar ziemlich egal ist, welche Qualität die MaFo hat, die er bekommt. Vielleicht ein paar Gruppen als Mini-Plebiszit, quick and dirty für Tarifchecks oder zur Preisschwellenbestimmung. Hauptsache, das Controlling erhebt keine Einwände. Und weil doch klar ist, was die Konsumenten wünschen, wozu dann überhaupt Marktforschung? Von Qualität also ist angesichts des Niedrigpreisbooms immer noch kaum die Rede. Dabei wäre Qualität ein Argument, der Rutschbahnfahrt der Preise entgegenzuwirken. Lange bevor die Konsumkrise manifest wurde, verbreitete sich, wie erwähnt, bereits ein Unbehagen am Lifestylekarussell und Funstress. Festes, Dauerhaftes, Solides hatte unterschwellig Aufwind; selbst wenn es nicht glamourös daher kam – zu sehen beispielsweise an den stetigen Marktanteilsgewinnen asiatischer Autos. Sie sind Testsieger bei der Pannenanfälligkeit, haben eine reiche Ausstattung und sind doch als Marken unbeschriebene Blätter. Wegen der ernormen Einseitigkeit der Ausrichtung auf Preisstrategien höhlte manche Marke ihre mühsam aufgebauten Werte aus, obwohl doch jeder weiß, dass die Preisstellung Teil des Qualitätsimages ist. Belohnt werden dagegen Marken, die sich wieder auf die Qualität zurück besinnen. Denn das ist ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt. Jetzt besinnen sich viele Marken auf die Qualitätspfunde, mit denen zu wuchern sie schon eingestellt hatten. Diese Vorreiter verzichten auf Distribution und damit auf Umsatz und Marktanteil, um ein Qualitätsimage und ein erträgliches Preisniveau zu stützen. Und siehe da: Höhere Preise sind durchsetzbar, und bessere Renditen machen den Verzicht erträglich – oder sogar profitabel.
Dr. Christoph B. Melchers (Geschäftsführer des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens ifm)
Interessant in diesem Zusammenhang: die Qualitätsdebatte im Reisebereich scheint an dem Beratungsunternehmen völlig vorbei gegangen zu sein, und das, obwohl sich zumindest ein Kinder- und Jugendreiseveranstalter nach ISO hat zertifizieren lassen.
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- www.ifm-network.de