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Ex-Vorstandssprecher des LJR Brandenburg leitet jetzt Reiseunternehmen

An Arbeitserfahrung mangelte es Vait Scholz nicht, als er 1999 plötzlich keinen Job mehr fand. Auch Arbeitswillen, Flexibilität und Verantwortungsbewußtsein zeigte der damals 42jährige Berliner. Er hatte Biologie und Geographie auf Lehramt studiert, führte dann die Geschäfte eines Lebensmittelhandels und verwaltete als Vorstandssprecher des Landesjugendringes in Brandenburg einen Jahresetat von bis zu 60 Millionen Deutsche Mark. Dann lief die Stelle aus, und das Arbeitsamt hatte ihm nichts mehr zu bieten. Für die Jugendarbeit war er angeblich zu alt. Mehr als 100 Bewerbungen wurden abgelehnt. Es reichte gerade noch für einen Umschulungsplatz in Webdesign. Was ich dort lernen sollte, konnte ich schon alles, sagt Scholz. Dieses Hin und Her zwischen Fortbildungen und Arbeitsamt war nichts für mich, schreibt Die Welt in ihrer Dienstagausgabe, 18. Juli 2006.

Scholz startete sein Wohnmobil, einen von ihm selbst umgebauten, mehr als 30 Jahre alten Mercedes-Bus des Technischen Hilfswerks, und fuhr Richtung Osten: Warschau, Minsk, Moskau, Samara, Nowosibirsk, Ulan Bator. Es sollte ein längerer Urlaub von der zermürbenden Arbeitslosigkeit werden, die nun schon ein halbes Jahr dauerte. Insgeheim hoffte Scholz auf eine neue Chance, einen neuen Job im Ausland. Nach genau sechs Wochen und 8469 Kilometern Fahrt wurde er fündig. In der mongolischen Hauptstadt mußte er das Kugellager seines Busses ersetzen. Der Chef der gerade neu eröffneten Mercedes-Werkstatt war hilfsbereit. Zum Dank kochte Scholz ihm abends ein klassisches deutsches Menü mit Rindfleisch und Salzkartoffeln. Dann kam endlich ein neues Jobangebot: Willst du unsere Werkstatt leiten? Zwei Jahre lang beaufsichtigte der studierte Lehrer sechs mongolische Mechaniker, dann übernahm ein Experte. Scholz suchte wieder eine Arbeit, in Ulan Bator. Die rauhe Schönheit des mit 2,7 Millionen Menschen spärlich besiedelten, weiten Landes, ließ den leidenschaftlichen Motorradfahrer nicht mehr los. "Wenn ich hier 30 Kilometer auf meiner BMW 1150 aus der Stadt fahre, bin ich mitten in der Wildnis", sagt Scholz. "Ich liebe das."

Scholz machte sein Hobby, das Reisen, zum Beruf und gründete mit einer mongolischen Geschäftspartnerin ein Reiseunternehmen: Extratour. Der Name ist Programm. "Wir organisieren individuelle Touren für Gruppen mit maximal sechs Leuten", sagt Scholz. Seine kleine, aber feine Kundschaft kann zwischen Kamel- und Pferderitten, Touren mit Motorrädern und seinem alten THW-Mobil wählen. 250 Gäste betreut Extratour im Jahr, die meisten sind Deutsche. Jede Person zahlt zwischen 1500 und 2500 Dollar, ohne Flug. "Wir wachsen langsam, aber stetig", sagt Scholz stolz. Zugute kommt ihm die Mongolei-Euphorie im Westen. Der Tourismus im Land der Nomaden wächst mit zehn Prozent im Jahr. 2005 kamen 400 000 Besucher in das asiatische Land. Dieses Jahr werden es noch mehr, denn die Mongolei feiert ihre Gründung vor 800 Jahren durch Dschingis Khan.

Einfach ist das Leben als freier Unternehmer in der ärmlichen, chaotischen Mongolei dennoch nicht. "Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, weiß ich nicht, ob die Straße noch da ist", sagt Scholz. "Man muß unglaublich flexibel sein und alles selbst machen: Werbung, Website, bürokratischen Ärger bewältigen." Ohne mongolischen Partner gehe es nicht, schon weil es zwei Kommunikationsebenen gebe: eine mongolische und eine ausländische. "Vereinfacht gesagt läuft es darauf hinaus: Ausländer zahlen viel, Mongolen wenig", sagt Scholz. "Mongolen tun sich gegenseitig nicht so weh." Auch mit seinen Angestellten, in der Saison rund 30, hat Scholz es nicht immer leicht. "In der Mongolei kommt Verläßlichkeit von Verlassen", sagt er. "Viele trauen sich zuviel zu und geben falsche Auskünfte." Wenn man etwa einen Fliesenleger in Deutschland frage, ob er einen Tisch bauen könne, sage der meist nein. In der Mongolei aber sage jeder erst einmal ja. Das Ergebnis ist dann nicht so zufriedenstellend. "Es muß immer alles husch, husch, schnell, schnell gehen", sagt Scholz. Ursache dieser Alltagskultur seien die nomadischen Traditionen.

Scholz lobt die angeblich deutschen Sekundärtugenden, aber das ist auch fast alles, was er aus seiner Heimat vermißt. "Zu eng, zu geregelt, zu langweilig" sei es in Berlin. "In Deutschland bricht ja gleich Panik aus, wenn einer falsch auf dem Bürgersteig parkt." Jammern auf hohem Niveau – das halte er nicht aus. "Einmal im Jahr zur Internationalen Tourismus-Börse nach Berlin, das reicht."

Seine beiden Töchter, 21 und 17 Jahre alt, sieht er zwar nicht mehr häufig. Aber Scholz, der als Neunjähriger 1967 zu seinen Eltern von Ost- nach West-Berlin übersiedelte, will die Freiheit der Ferne nicht mehr missen. Im wilden Osten ist der Unternehmer weder arbeitslosen- noch krankenversichert. Zum Krankwerden habe er auch gar keine Zeit, sagt er. Und wenn doch, dann geht das Unwohlsein schnell vorüber. "Wenn Sie einmal ein mongolisches Krankenhaus von innen gesehen haben, werden Sie ganz schnell wieder gesund." Für viele Deutsche wäre das aber nichts. "Ich bekomme immer wieder E-Mails von Leuten, die mich fragen, ob sie bei mir arbeiten können", sagt er. "Wenn ich ihnen sage: ja, zu mongolischen Bedingungen, ohne Sozialversicherung, will niemand mehr kommen."